Moon Mountain Dharma – Ein Gespräch mit Hans Kaishin Tenryu Stucken

Wir im Westen müssen Wege finden, das Feuer des Erwachens weiterzugeben, anstatt japanische Asche anzubeten„.

3 schätze: Lieber Hans, unsere Wege kreuzen sich seit vielen Jahren immer mal wieder und ich freue mich dass wir nun Zeit finden, ein kleines Interview zu führen.

Hans Stucken: Die Freude ist ganz meinerseits. Wenn ich so zurückdenke, weiß ich gar nicht mehr, wie ich zum ersten Mal auf 3 schätze gestoßen bin.
Als gebürtiger Kölner bin ich ja immer eher in der Domstadt unterwegs gewesen. Woran ich mich jedoch gut erinnere war die Erleichterung, als ich gemerkt habe, dass Ihr auf verschiedenen Ebenen eine sehr ernstzunehmende Unternehmung seid und trotzdem der Humor nicht zu kurz kommt. Ich bin beruflich leider oft sehr eingespannt, freue mich aber immer sehr, wenn ich es zu Euch schaffe.

3 schätze: Vor kurzem hast du die Dharmaübertragung von deinem Lehrer Pierre Taigu Turlur Roshi erhalten. Erzähl uns doch ein wenig über deinen Werdegang als Zen Mönch.

Hans Stucken: Grundsätzlich bezeichne ich mich nicht als Mönch, da dieses Wort in meinen Augen (oder eher Ohren) durch die fehlende Verpflichtung zu einer Art Zölibat und mein Leben außerhalb von Klostermauern bei vielen Menschen etwas falsche Assoziationen weckt. Auf der anderen Seite stimmt natürlich, dass man nach der Shukke Tokudo Ordination kein Laie mehr ist. Zumindest aus japanischer Sicht. Da das während der Meiji-Zeit reformierte System in Japan halt nicht 1 zu 1 auf den Westen zu übertragen ist,  muss da jede/r für sich selbst bestimmen, wie man sich bezeichnet. Mit „Dharmalehrer“ komme ich ganz gut klar.

Als 16jähriger Teenager kam ich zum ersten Mal so richtig mit dem Buddhismus in Berührung, da ich ein Jahr als Austauschschüler bei einer japanischen Gastfamilie in Chiba-Ken verbringen durfte. Danach habe ich erstmal sehr Vieles mit Begeisterung ausprobiert und fand auch das Studium und die Ausübung diverser okkulter und naturreligöser Praktiken sehr faszinierend. Regelmäßiges stilles Sitzen praktiziere ich seit ca. 2001. 2006 sind dann mehrere Menschen aus meinem direkten Umfeld gestorben, was schlagartig dazu führte, dass ich noch im selben Jahr Zuflucht genommen habe. Etwas in mir wollte, dass ich mich weg von den Dingen orientieren sollte, die ich angenehm fand, um mich auf die Dinge zu konzentrieren, die ich eigentlich nötig hatte. Ich erinnere mich da gut an ein Gespräch mit einem Buddhisten, der mich seinerzeit mit einigen wenigen (freundlich gemeinten) Sätzen so bis aufs Mark zerlegt hat, dass ich ihm noch heute dankbar bin.

Soto-Zen hatte ich nach einer etwas humorlosen ersten Begegnung eigentlich schon abgeschrieben, als mir Brad Warners Buch Hardcore Zen indirekt den Weg zur Linie meines Meisters Taigu Turlur Roshi ebnete. Da ich viel im Ausland war, war ich eine Zeit lang sehr dankbar, Teil der organisatorisch zentral im Internet beheimateten Treeleaf Sangha (von Jundo Cohen ins Leben gerufen) sein zu können, über die ich auch meinen Meister Taigu Turlur kennenlernen durfte. Er war es auch, der mich mit den Werken Lex Hixons vertraut machte, die mich nachhaltig beeinflusst haben.

Ich weiß noch, wie ich ihn das erste Mal in Osaka besucht habe und in einem komplizierten Bahnhof so ein wenig wie bei Pac-Man mehrfach immer genau falsch abgebogen bin. Taigu-Roshi fand meine daraus resultierende Verspätung damals nicht gerade großartig, beeindruckte mich aber dadurch, dass seine Emotionen so ganz ohne Rattenschwanz einfach klar zu Tage traten. Ich fühle mich ihm menschlich extrem verbunden, auch wenn wir ganz sicher nicht immer einer Meinung sind. Mitglied der Soto-Shu bin ich übrigens nicht und strebe das auch aus verschiedenen Gründen nicht an.
Meine Dharmaktivitäten fasse ich seit einigen Wochen unter dem Namen „Moon Mountain Dharma“ zusammen, bin mir aber selbst noch nicht 100% sicher, was für Formen dies alles annehmen wird.

3 schätze: Was bedeutet die Dharmaübertragung für Dich und was wird sich in Zukunft dadurch für Dich verändern?

Hans Stucken: Ein komplexes Thema. Einerseits ist ja so eine Dharmaübertragung in Japan für Japaner total uninteressant, in Europa hingegen wird ihr von vielen Menschen extrem viel Bedeutung beigemessen. Für mich persönlich ist sie wichtig, weil sie die innige Verbindung zu meinem Lehrer auf eine intime Weise unterstreicht. Sie wird ganz sicher ihre eigene Dynamik in meinem Leben entfalten. Wir werden sehen, es ist alles noch sehr frisch.

3 schätze: Hast du von Seiten deines Lehrers mit der Dharmaübertragung einen gewissen Auftrag erhalten?

Hans Stucken: Na ja, mein Lehrer hat wohl das eingesetzt, was man heutzutage auf Denglisch „reverse psychology“ nennen würde. Er hat explizit betont, dass ich damit machen kann, was ich will. Diese Aussage führt bei mir jetzt eher dazu, allzu wilde Ideen viel konservativer zu bewerten, als ich es sonst tun würde. Klar ist, dass ich eine innere Verpflichtung fühle, den Buddhadharma sinnvoll zu teilen und weiterzugeben. Ich sehe meine Berufung jedenfalls ganz sicher nicht darin,
irgendeine Art Wellness-Zen oder Managertrainings anzubieten.

3 schätze: Seit vielen Jahren leitest du in Hennef eine kleine Zen Gruppe. Wirst du dein Angebot als Zen Lehrer nun ausbauen?

Hans Stucken: (lacht) Ich fange jetzt erstmal mit ein paar Belehrungen zum Diamantsutra an. Für meine Minigruppe in Hennef suche ich schon geraume Zeit nach neuen Räumlichkeiten und werde versuchen, dort wieder mehr Aktivitäten zu entfalten.

3 schätze: Du bist ja auch schon etliche Male nach Japan gereist. Wie siehst du die Gemeinsamkeiten beziehungsweise Unterschiede im japanischen Zen und dem westlichen Zen?

Hans Stucken: Wieder ein SEHR großes Thema. Lass es mich so formulieren, da ich ja als Teenager ein Jahr in einer stinknormalen japanischen Familie leben durfte, habe ich einen anderen Eindruck davon, welche Stilelemente im japanischen Zen eher der allgemeinen Kultur zuzuordnen sind und welche aus meiner subjektiven Sicht den Dharma generell ausmachen.

Ich finde es immer witzig, wenn Westler manchmal päpstlicher als der Papst sein wollen, wenn sie z.B. diesen extremen Drang zur Konformität, die japanische  Regelversessenheit, das Verhältnis zu Hierarchien etc. dem Dharma an sich zuordnen, wobei solche Elemente oft eher dem konfuzianischen Einfluss geschuldet sind.
Wir im Westen müssen Wege finden, das Feuer des Erwachens weiterzugeben, anstatt teilweise japanische Asche anzubeten.

Der Buddhismus ist ja auf Grund verschiedener Entwicklungen in Japan gesellschaftlich extrem irrelevant geworden. Zazen üben nur wenige Laien, die Priester sind in der Gesellschaft vor allem für das Abhalten von Begräbnisritualen bekannt. Klöster wie Antai-ji sind eine großartige Ausnahme, aber nicht unbedingt repräsentativ für „normale“ Tempel.

Gleichzeitig sollten wir uns hüten, einfach durch Schnellschüsse unserer westlichen Arroganz das Kinde mit dem Bade auszuschütten. Ein klarer Unterschied ist auf jeden Fall die Tastache, dass im japanischen Klosterkalender viele Rituale vorkommen.
Im Westen wird ja vor allem seit den 60ern oft so getan, als ob Zen-Buddhisten klassischerweise nicht viel mit Ritualen und Sutren etc. zu tun hätten, aber das Gegenteil ist ja im klösterlichen Mainstream-Zen der Fall. Dem taoistischen Küchengott wird genauso wie Landgeistern regelmäßig so mancher Verdienst rituell gewidmet.

3 schätze: Am 24.03.2018 wirst du im Bonner San Bo Dojo einen Workshop zum Diamant Sutra anbieten. Für wen ist dieser Workshop gedacht und was erwartet die Teilnehmenden?

Hans Stucken: Wir werden nach einer kurzen Vorstellungsrunde ca. 30 Minuten Zazen sitzen und danach das gesamte Diamantsutra einmal komplett in deutscher Sprache anhören bzw. ich lese es nach einigen grundlegenden Anmerkungen vor. Danach machen wir eine kleine Teepause. Im weiteren Verlauf werde ich auf einzelne Kapitel gesondert eingehen und einige spezielle Aspekte hervorheben.

Es würde mich freuen, wenn wir dann zu einem Frage-Antwort Dialog kämen, durch den wir die etwaige Bedeutung dieses Meisterwerkes für unsere Praxis noch mehr herausarbeiten können. Die Auseinandersetzung mit dem Diamantsutra soll ja in unserem Leben verankert sein. Mir geht es vor allem darum, das Bewusstsein für die Mahayana-Grundlage unserer heutigen Zen Praxis zu schärfen und vielleicht die ein oder andere Person dazu zu inspirieren, die Scheu vor der Auseinandersetzung mit unseren heiligen Schriften abzulegen. Je nachdem wie viele alte Zen-Hasen anwesend sein sollten, werde ich meine Ausführungen und Belehrungen leicht anpassen, aber grundsätzlich sind diese knappen vier Stunden für wirklich all jene gedacht, die sich für Dharma interessieren, selbst wenn sie komplette Anfänger sind.

3 schätze: Herzlichen Dank für dieses Gespräch. Ich freue mich schon auf den Workshop zum Diamant Sutra. Infos zum Workshop in dem kleinen Video oben und unter: www.zen-bonn.de (Termine)

Infos: facebook/moonmountaindharma

SeeMoreFilm und O-Jukai – Eine Zen Zeremonie

„mehr sehen” heißt, ein

dringlicher und anders sehen, unter die Oberfläche zu schauen.

SeeMoreFilm entwickelt und produziert Filme zu relevanten Themen, die sich innovativ mit gesellschaftlichem Wandel befassen, wie Strategien zur gewaltfreien Konfliktlösung, soziale Gerechtigkeit, In

tegration. Menschen und ihre Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt. Während einer groflen O-Jukai Zeremonie, welche vom 8. – 12. Juni 2017 im Tempel La Gendronniere in Frankreich stattfand, hatten Carmen Eckhardt und ihr Partner, Gerardo Milsztein, Gelegenheit die Zeremonie

mit der Kamera begleiten…

3 schätze: Liebe Carmen, ich freue mich, dass wir dieses Interview führen können. Bitte erkläre uns doch zunächst einmal, welche Bedeutung die O-Jukai Zeremonie hat.

Carmen Eckhardt: Die O-Jukai ist eine fünf Tage dauernde, sehr berührende Buddhistische Zeremonie im Soto Zen, während  der  den Teilnehmenden das Kechimyaku oder Ketsumyaku überreicht wird. Das Kechimyaku/Ketsumyaku – das Wort kommt aus dem japanischen

– ist ein Zeritifikat mit der Aufstellung der Abstammungslinie aller Zen Meister einer Zen-Linie. Die Schüler nehmen während der Zeremonie die buddhistischen Gebote an und verbinden sich mit allen vorangegangenen Generationen von Meistern, zurück bis zu Buddha. Von da an gehören sie offiziell zur spirituellen Familie dieser Zen Linie.

3 schätze: Wie kam es, dass Ihr die Zeremonie filmen konntet und nun daraus die Dokumentation „O-Jukai Impression“ entstanden ist?

Carmen Eckhardt: Seit 14 Jahren bin ich selbst Zen Praktizierende und habe auch an der Zeremonie teilgenommen. Als ich erfuhr dass diese Zeremonie zum aller ersten Mal in Europa durchgeführt werden würde, hatte ich die Idee ein Film darüber zu machen. Die europäischen Zenmeister die für die Vorbereitung verantwortlich waren, fanden die Idee gut und so ist das Projekt zustandegekommen. Das Besondere an dem Projekt war auch: Es stand leider kein Geld für die Produktion zur Verfügung und dass wir dann diesen Film per Crowdfunding finanziert haben, d.h. alle Interessierten haben Geld gegeben und geholfen Geld zu sammeln, damit dieser Film finanziert werden konnte. Als er dann fertig war haben alle Unterstützer eine DVD bekommen. Das hat wunderbar funktioniert. Es ist somit ein Film von vielen.

Da ich selbst an der Zeremonie teilgenommen habe, konnte ich währenddessen nicht im üblichen Sinn Regie führen. Gerardo Milsztein, der Kameramann, war ganz auf sich gestellt und musst quasi mitatmen, um immer nah dran zu sein und gleichzeitig unsichtbar sein, um nicht zu stören. Das ist ihm super gelungen. Das O-Jukai war für die Teilnehmenden auch viel emotionaler, als man das von anderen Zen-Veranstaltungen kennt und erwartet.

3 schätze: Wie hast Du das Zusammentreffen der japanischen Delegation und den europäischen Zen-Praktizierenden empfunden?

Carmen Eckhardt: Alle waren neugierig, keiner wusste so recht, was auf ihn zukommt. Es reisten an die 30 japanische Mönche an und einige hochrangige Zenmeister. Die Wenigsten sprachen englisch, das machte die Kommunikation ausgesprochen spannend. Die japanischen Mönche waren genauso aufgeregt und angespannt, wie die europäischen Nonnen, Mönche und Meister. Ob sie es wohl schaffen würden den Europäern in so kurzer Zeit die Essenz der Zeremonien zu erklären, auch die Durchführung der vielen Zeremonien. Die Zeremonien waren teilweise sehr kompliziert und aufwendig und die Europäer waren aufgeregt, weil sie in die Zeremonien eingebunden waren, aber überhaupt nicht wussten, was auf sie zukommt. Die Verständigung lief dann teilweise auch nonverbal, nur über die Instrumente, über Zeichensprache . Das war schon sehr spannend und ungewöhnlich. Alle haben sich große Mühe gegeben und waren sehr achtsam und aufmerksam aufeinander. Das ganze Zusammenwachsen es war ein eindrucksvolles EAST meets WEST. Während der fünf Tage wuchsen alle zu einer großen Gemeinschaft zusammen. Beide Seiten haben viel voneinander lernen können.

3 schätze: Erzähl uns doch noch ein wenig über Eure weitere Arbeit mit SeeMoreFilm.

Carmen Eckhardt: Unser nächstes Projekt ist ein internationaler Kino Dokumentarfilm und den werden wir auch per Crowdfunding finanzieren. Es geht in dem Film um eine Vision, die mittlerweile sehr viele Menschen teilen: Es geht um andere Formen des Lebens in Gemeinschaft – jenseits der Zerstörung der Natur, jenseits des Turbokonsums und Turbokapitalismus und der Globalisierung – selbstbestimmt und doch gemeinschaftlich, mit einer Kultur des Teilens und Schenkels, in denen respektvolle, liebevolle Beziehungen der Menschen untereinander und zur Natur in Mittelpunkt stehen. Nicht wenige Menschen haben sich weltweit in einer Vielfalt von Gemeinschaften zusammen gefunden und leben – auch wenn es viele Hürden gib – diese Vision. Wir möchten Menschen dabei begleiten.

3 schätze: Herzlichen Dank für dieses Interview und viel Erfolg mit Euren nächsten Projekten.

Die 52-minütige Dokumentation enthält englische und französische Sprache.

Hier ein Trailer

Infos:

SeeMoreFilm
Carmen Eckhardt
Auf der Ruhr 25
50999 Köln
Tel.: +49 2236 3313636
www.seemorefilm.de

 

 

 

Was müssen wir jetzt spüren? – Edward Espe Brown im Gespräch mit Stefan Laeng-Gilliatt

         

Stefan: Vor einigen Jahren interviewte ich eine Reihe von Menschen im Umfeld des San Francisco Zen Center, mit denen Charlotte Selver und Charles Brooks eine langjährige Freundschaft verband. Ed Brown traf sie in den 1960ern zum ersten Mal im Tassajara Zen Mountain Center, als er dort Tenzo (oberster Koch) war. Charlotte und Charles waren häufig Gäste in Tassajara, wo sie über viele Jahre jeden Sommer Workshops leiteten. Was folgt, ist ein bearbeiteter Auszug meiner Unterhaltung mit Ed:

Espe Brown: Egal was Charlotte Selver uns beibrachte, es war so ungewöhnlich und für manche Leute schwer zu verstehen. Ich erinnere mich an einen Kurs in Tassajara. Sie sagte: „Dreh Deinen Kopf nach Rechts und dann dreh ihn zurück“. Sofort fragte jemand: „Wie genau sollen wir das tun?“ Viele Jahre später, als ich anfing Kochkurse zu geben und etwa sagte: „Lasst uns probieren“, fragten Leute: „Was sollen wir schmecken?“. Es ist schwer für die Menschen, einfach nur zu schmecken. Irgendwie scheinen manche Leute lieber die „richtige“ Erfahrung zu machen, als die die sie gerade haben.

Momentan arbeite ich mit etwas, dass ich „Achtsame Berührung“ (mindfulness touch) nenne. Zum Teil bin ich dabei von den Kursen beeinflusst, an denen ich mit Charlotte Selver und Charles Brooks in Tassajara teilgenommen habe. Bei der „Achtsamen Berührung“ ist es das selbe – Achtsamkeit ist das buddhistische Konzept der Erfahrung, ohne zu urteilen, gut/schlecht und ohne zu bewerten richtig/falsch. Einfach etwas zu erleben. Das ist sehr herausfordernd aber ich bin zu dem Verständnis gelangt, dass Du, solange Du urteilst, noch keine wirkliche Erfahrung machst. Auch bei Berührungen folgen wir oft Anweisungen, wir erfahren fast alles mit Anweisungen, Anweisungen, was zu tun ist, wie Du sein sollst. Wie kannst du so wirklich etwas erfahren?

Ich hatte einige Begegnungen mit Charlotte und Charles, in denen ich dies herausfinden konnte. Es hat aber Jahre gedauert, bis ich dies wirklich in meinem Leben verwirklichen konnte. Es ist so schwer sich zu ändern. Ich hatte ein furchtbares Kindheitstrauma. Ich kann nicht sagen, wie andere es erleben aber je mehr ich anfing, einfach nur zu spüren, was in mir ist, anstatt sicher zu gehen, dass ich das richtige spürte, tauchte ich unmittlelbar da hinein.

Ich nahm regelmäßig an den Kursen mit Charlotte und Charles auf der Veranda des Speisesaals von Tassajara teil. Ich arbeitete hart und schlief eher wenig, und so war ich nachmittags meistens schrecklich müde. Aber wenn ich zu ihren Kursen ging, war ich nach einer Stunde des “Einfach-da-seins” anstatt „ich muss dies, ich muss das”, wieder erfrischt.

Es gibt eine Geschichte, über ihre Anfänge mit Sensory Awareness, die Charlotte mir erzählte. Ich nutze sie oft, wenn ich mit Menschen Qi Gong mache. Die Art Qi Gong die ich praktiziere, richtet den Fokus nicht darauf, es richtig zu tun, sondern mehr darauf, die Bewegung zu erspüren und nicht eine Bewegung durchzuführen. Ich weiß nicht, ob Charlotte diese Sprache gewählt hat aber für mich ist es „Führ die Bewegung nicht aus, spüre die Bewegung“.

Stefan: Sie hätte nicht diese Worte gebraucht aber es ist das, was sie tat.

Espe Brown: Also, Charlotte hatte von einer Lehrerin namens Elsa Gindler gehört und wollte sie treffen. Sie sagte zu Gindler: „Ich möchte mit ihnen studieren“. Und Elsa erwiderte: “Sie wissen zuviel, Sie können nicht mit mir studieren“. Irgendwie hat Charlotte aber darauf bestanden, bis Gindler schließlich Ja sagte. Charlotte erzählte, dass sie ein Jahr lang dachte, dass Gindler die absolut wunderbarsten Dinge unterrichtete und alles was sie sagte, einfach brilliant und weise war aber sie sagte auch, „sie schien mich nicht richtig anzuerkennen. Wenn sie mich ansah, war es so, als würde sie meine Anwesenheit nicht wirklich schätzen. Und dann, nach ungefähr einen Jahr, drehte Elsa sich zu mir um und sagte: „Oh, Charlotte, Gott sei Dank, endlich eine authentische Bewegung und keine Pose. „.“ Charlotte sagte, danach wurde es wesentlich schwieriger.

Das ist auch etwas, was ich den Menschen beibringen will, den Unterschied zwischen Authentizität und Pose oder den Unterschied zwischen einem Verhalten, was Zustimmung sucht und anwesend und lebendig zu sein. Manchmal nenne ich das dann echt werden. Und ich sehe nicht viele Menschen, die echt sind. Manche Zen Leute sind es, aber nicht alle. Und einige sind echter als andere.

Stefan: Im Zen hast Du die Herausforderung in einer sehr klaren Form echt zu sein. Oft genug bringen die Leute das dann durcheinander und versuchen, die Form zu sein.

Espe Brown: Ja, die Leute bringen das durcheinander und versuchen, die Form zu sein. Suzuki Roshi sagte, wir haben eine formelle Praxis mit zwanglosem Fühlen aber eine Menge Leute betreiben eine formelle Praxis mit erzwungenem Fühlen. Auf der anderen Seite scheint es mir für viele Menschen schwierig zu sein, direkt zu Sensory Awareness zu kommen und nicht vorher eine „Tue genau dies und tue es genau so“ Praxis gehabt zu haben.

Stefan: Das ist ein interessanter Punkt. Ich habe mit Menschen in der Schweiz gearbeitet, die Kolleg/innen von Charlotte und Schüler/innen von Gindler und Jacoby waren und ich weiß, dass in Berlin eine Genauigkeit und Präzision herrscht, die Charlotte zurückgelassen hat. Sie war nicht unpräzise aber ich glaube, sie zielte direkt auf’s Herz der Sache.

Espe Brown: Ich denke, dass Charlotte mit den Jahren gemerkt hat, dass eine Menge Leute im Zen Center ziemlich rigide waren und Dinge so taten, wie sie sie tun sollten, anstatt zu erleben, anstatt zu erfahren, was tatsächlich geschieht. Ich habe Jahre versucht das zu unterrichten und ich bin damit vielleicht annähernd so erfolgreich wie Charlotte es war aber wer weiß.

In meinen Kochkursen lasse ich viel propieren. Manchmal nehme ich Erdbeeren, wir schmecken die Erdbeeren und dann füge ich etwas Ahornsirup dazu: „Oh, das ist gut“. Danach geben wir ein paar Tropfen Balsamico-Essig dazu – nicht so sehr wegen des Essiggeschmacks, sondern wegen der leichten Säure und sie sagen: „Woah, das schmeckt jetzt noch mehr nach Erdbeeren“. Und nach einem Quentchen Schwarzen Pfeffer sagen sie: „Es ist nicht so, als wäre es pfeffrig oder scharf im Mund aber es schmeckt noch mehr nach Erdbeere“. Es scheint, als könntest Du Erdbeeren noch mehr nach Erdbeeren schmecken lassen, wenn Du vorsichtig bist und es nicht übertreibst.

Stefan: Charlotte gebrauchte die Analogie des Schmeckens sehr häufig und forderte uns sogar auf, eine Bewegung zu schmecken.

Espe Brown: Ja, genau, mit den Jahren hatte ich des öfteren die Erfahrung, dass manche Bewegungen oder Dinge köstlicher sind als andere.

Ich arbeite gerade an einem neuen Buch über mein Leben. Ich beginne mit der Zeit in Tassajara, als ich nach neunzehn Jahren Zen Praxis eines Tages dachte, was werde ich wohl heute während des Sitzens machen und der Gedanke auftauchte, warum nicht einfach das Innerste mit etwas Wärme und Wohlwollen berühren.
Sofort liefen mir die Tränen runter und eine leise Stimme sagte: „Es wird langsam Zeit“. So lang hat es gedauert – neunzehn Jahre Zen Praxis – bis ich mir endlich etwas eher Sensory Awareness ähnliches zu erleben erlaubte. Und ich hatte eine Menge Arbeit damit. Ich weiß nicht, ob das für jede/n gilt aber bestimmt scheint es für Leute, die in ihrer Kindheit missbraucht wurden und alkoholkranke Eltern hatten, eine Menge „Rest-Drama“ zu geben, welches es ziemlich schwierig macht, mit Sensory Awareness zu arbeiten. Sich einer Art von internen Realität zu öffnen oder ganz einfach zu spüren was ist, bedeutet, einige Regeln zu brechen. Regeln, die Du Dir selbst auferlegt hast und wenn Du die brichst, kommst Du nicht umhin zu glauben, dass Du verletzt werden wirst.

Stefan: Interessant, dass so jemand dann eine Praxis wie das Zen aussucht, welche so viele Regeln kennt.

Espe Brown: Tja, weil es ein Gefühl der Sicherheit bringt – bis zu einem bestimmten Punkt. Danach sah ich Katagiri Roshi. Er war damals der interimistische Abt, und ich fragte ihn: „Katagiri Roshi, während meiner Meditation berühre ich einfach was innen ist. Ist das in Ordnung? Ist das Zen?“ Er antwortete: „Ed, zwanzig Jahre lang habe ich versucht das Zazen Dogen´s zu praktizieren, bevor mir klar wurde, das es so etwas nicht gibt“. Es gibt kein richtig machen, es gibt keine Art und Weise wie Du zu sein hast.

Ich verstehe etwas davon, mit Dingen in Kontakt zu sein, Dinge direkt zu spüren und für mich selbst zu wissen, was was ist und keine feste Form zu haben, an der ich festhalten müsste. Aber es gibt etwas in der Form des Zen… Manchmal bleibt Dir nichts anderes übrig, als einfach Deine Schwierigkeiten zu studieren. Es scheint eine gewisse Nützlichkeit in der ganzen Struktur zu geben. Ich brauchte Struktur. Gefühle kommen meistens aus unserer frühen Kindheit. Gefühle drücken nicht das Jetzt aus. Gefühle von früher werden ausgelöst. Darin war ich über Jahre verloren und ich verbrachte Jahre damit, da raus zu kommen und von daher ist es nicht leicht zu sagen, was hilfreich oder angemessen für einen selber ist. Meiner Meinung nach kann Zen – formelle Praxis mit zwanglosem Fühlen, nach Außen hälst du die Form, im Innern fällst du auseinander – theoretisch sehr hilfreich sein aber ich glaube, die wenigsten Leute verstehen das. Die meisten Menschen denken, es geht darum, die Fassung nicht zu verlieren, aber idealerweise bleibst du intakt und fällst gleichzeitig auseinander. Ansonsten bewahrst du einfach die Fassung und der ganze Kram den Du nicht verarbeitet hast, wird Dich mit der Zeit krank machen.

Suzuki Roshi sagte oft, Hindernisse sind eine Einladung zur Praxis. Schwierigkeiten sind der Weg. Doch ich glaube, die meisten Leute sagen sich, „Nein, ich mache einfach dieses Sensory Awareness und atme da durch“, während die Leute, die in der Zendo sitzen sagen: „Nun, ich praktiziere einfach“.

Stefan: Wir wollen  die Fassung bewahren. Das finde ich interessant, weil ich mich manchmal frage, warum wir tun was wir tun und ob es tatsächlich hilfreich ist?

Espe Brown: Wirklich schwer zu sagen.

Es scheint mir extrem wichtig zu sein, aufzuwachen für etwas anderes als ein „kann ich noch besser werden, eine Erfahrung zu kreieren, die ich haben sollte„.

Stefan: Selbst in der Sensory Awareness habe ich bemerkt, dass wir uns manchmal überlisten und Dinge fühlen, die gar nicht wirklich da sind.

Espe Brown: Ich habe Jahre damit zugebracht richtig zu atmen. Im Buddhismus sagen die Leute immer und immer wieder, folge Deinem Atem, lass ihn zu, und ich habe das geübt. Du magst denken, Du lässt den Atem frei fließen und es stellt sich raus, dass er einfach nur so fließt, wie Du ihm sagst, das er fließen soll. Gelegentlich bemerkst Du in Bezug auf Deinen Atem dann etwas wie, „Oh, ich glaube, ich habe ihn beeinflußt“. Es ist sehr schwer Erfahrungen zu machen, die wirklich frisch und neu sind, unmittelbar. Aber das scheint mir extrem wirksam, extrem wichtig zu sein, um aufzuwachen für etwas anderes als ein „kann ich noch besser werden, eine Erfahrung zu kreieren, die ich haben sollte“.

Stefan: Alles was wir tun, ist immer eine neue Erfahrung, die aus vorangegangenen Bedingungen resultiert. Was meint frische Erfahrung? Im Buddhismus spricht man von wahrer Natur. Ich habe diese Vorstellung aufgegeben. Was ist das überhaupt?

Espe Brown: Es ist ein Wort, ein Konzept. Wahre Natur ist keine Natur, keine feste Natur. Deine wahre Natur zu kennen bedeutet, dass Du ursprünglich frei bist. Das es nichts zu tun gibt, nichts zu flicken oder zu verändern. Gibt es einen Punkt, an dem ich nur noch empfangen kann und glücklich bin wahrzunehmen anstatt den nächsten Fehler zu finden, ihn zu benennen und zu reparieren? Für mich ist das so etwas wie Sensory Awareness.

Auf der anderen Seite willst Du manchmal wissen, wie ich z.B. dieses oder jenes koche? Was tue ich? Wir leben in unterschiedlichen Welten und ich glaube, die Leute denken, wenn sie anfangen zu meditieren, hilft ihnen das herauszufinden, was sie tun können und wie sie die Dinge besser machen können und wie sie bessere Ergebnisse erzielen, doch ich bin nicht sicher – vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich glaube, letztlich geht es um…

Stefan: Damit endete unsere Unterhaltung abrupt. DasTelefon klingelte und Ed ging heran. Als ich das Skript für diesen Artikel bearbeitete, rief ich Ed an und fragte ihn, was er wohl an der Stelle habe sagen wollen. Seine Antwort war: „Perfektes Timing! Ich glaube, es geht einfach darum ans Telefon zu gehen, wenn es klingelt“. Er bot mir aber auch ein anderes Ende an: letztlich geht es nicht darum, dass alles besser wird, sondern dass wir mit unserer eigenen Erfahrung vertraut werden, dass wir vom Herzen her leben und nicht im Überlebensmodus funktionieren.

Edward Espe Brown begann mit Zen und Kochen im Jahr 1965 und wurde 1971 von Shunryu Suzuki Roshi zum Priester ordiniert. Seine Unterweisung ist sowohl unbekümmert und eindringlich, gemischt mit Poesie und Geschichtenerzählen. Nachdem er hauptverwantortlicher Lehrer an allen San Francisco Zen Centers: Tassajara, Green Gulch und City Center war, hat er ausserdem Meditationsretreats und Kochkurse in den gesamten USA sowie in Österreich, Deutschland, Spanien und England geleitet. Er ist Autor diverser Kochbücher, wie The Tassajara Bread Book und Tomato Blessings and Radish Teachings, sowie Lektor von „Not Always So“, ein Buch mit Unterweisungen von Shunryu Suzuki Roshi (Juni, 2002). Darüber hinaus hat er seit 1980 umfassend Vipassana praktiziert und von Zeit zu Zeit Yoga. Seit ein paar Jahren leitet er Workshop zu Liberation Through Handwriting und Mindfulness Touch und hat mit der Praxis von Chi Gung angefangen. Doris Dörries Film über Ed Brown, How to Cook Your Life, kam im Oktober 2007 heraus. Das vollständige Tassajara Cookbook, eine Sammlung seiner Schriften, wurde im September 2009 publiziert.

Stefan Laeng-Gilliatt praktiziert Sensory Awareness und verwandte Arbeiten seit 1980. Er studierte mit LehrerInnen in der Schweiz und den USA. Mit Charlotte Selver arbeitete er von 1991 bis zu ihrem Tod 2003 intensiv zusammen, als Schüler wie auch in gemeinsamen Kursen. Er erhielt von ihr 1996 die Lehrberechtigung. Buddhistische Meditation und Philosophie bilden seit den frühen 80er Jahren eine Grundlage seiner Arbeit und seines Lebens. Er ist Executive Manager der Sensory Awareness Foundation und bietet sowohl Einzel- als auch Gruppenunterricht und Workshops an. Er arbeitet zur Zeit an einem Oral History und Buchprojekt über Leben und Wirken von Charlotte Selver. Stefan lebt in Hancock, New Hampshire, USA.

Die englische Fassung des Gesprächs findest Du hier

Weitere Infos: www.mindfulnessinmotion.net

Am Wochenende, 27.10. bis 29.10.2017 veranstaltet das Bonner San Bo Dojo einen „Zen & Sensory Awareness“ Workshop mit Stefan Laeng-Gilliatt. Das Wochenende wird Anteile klassischer Zen-Praxis sowie Workshopanteile von Sensory Awareness enthalten. In dieser Zeit wollen wir uns expliziet mit dem Sitzen, Gehen, Stehen und Liegen beschäftigen.

Weitere Infos unter www.zen-bonn.de (Termine)